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Der Umgang mit dem Thema "Perfektionismus"

Christina Schirmer
Ich bin ein Perfektionist durch und durch. Diese Website hier zum Beispiel habe ich bereits zig Mal neu überarbeitet, viele Projekte geistern erst als Ideen in meinem Kopf herum, bis sie ausgereift genug sind, um sie anzugehen und wenn ich etwas mache, dann muss es richtig gut werden, sonst bin ich unzufrieden mit mir... Kennst du das auch? Das Streben nach Perfektion ist sehr weit verbreitet, es fesselt uns, raubt Energie und macht unglücklich. Dennoch sollten wir das Streben nach Perfektion nicht nur im Schatten sehen, es hat auch seine hellen und guten Seiten. Wie das alles genau aussieht, erfährst du hier.


So kann das Streben nach Perfektion in dir entstanden sein


Perfektionismus ist in den Genen vorprogrammiert. Das heißt, dass dieses Streben vererbt wird. Die Umwelt (also Erziehung, Schule, Freunde, Arbeit usw.) beeinflussen letztendlich nur noch, wie stark und in welche Richtung sich der Perfektionismus in dir ausprägt. Wenn von dir schon immer Leistung verlangt wurde, wenig Akzeptanz und Nähe zugelassen wurde, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass du nun heute dasselbe mit dir machst. Und das ist natürlich nicht gesund.

Falls dir jedoch immer Nähe, Akzeptanz und Liebe gegeben wurde, so prägt sich bei dir kein Leistungsgedanke aus, sondern Gewissenhaftigkeit - was ebenfalls etwas mit Perfektion zu tun hat, jedoch ohne der Schattenseite des Verurteilen und Selbsthass.


Bleiben wir bei der ersten Variante, denn sonst würdest du diesen Eintrag nicht lesen. Ich denke bei dir lief es ähnlich, du wurdest bestraft, wenn du Fehler gemacht hast, bekamst Hausarrest, wenn du frech warst und nur dann Anerkennung, wenn du eine gute Note oder eine andere gute Leistung vollbracht hast. Selbst wenn du etwas getan hast, wurdest du angemeckert, da es in den Augen deiner Eltern, Lehrer, etc. nicht gut genug war... Oder du wurdest geschimpft, weil du etwas fallen hast lassen...

In der ganzen Kindheit und Teenagerzeit lernst du also, dass du nur etwas Wert bist, wenn du gute Leistung bringst und Fehler vermeidest - und dieser Mix lässt dich irgendwann sehr unglücklich werden.


Der Schlüssel liegt nicht beim bekämpfen, sondern bei der Akzeptanz
Akzeptanz, Liebe und der richtige Umgang mit deinem Streben nach Perfektion schenkt dir die Freiheit

Was dein Perfektionismus mit dir anstellt

Umso länger du also damit lebst und vor allem auch: danach lebst, umso fester manifestiert sich der Perfektions-Gedanken in deinem Kopf. Neben dem Verurteilen bei schlechter Leistung oder Fehlern, krabbeln noch ganz viele andere "Auswüchse" hervor, gesellen sich dazu und machen dir das Leben noch schwerer. Es entwickeln sich Ängste, Stress, Vermeidungsstrategien, Zwänge und kann bis zum Burnout bzw. zu einer Depression führen. Umso länger du angespannt mit deinem Perfektionismus lebst, umso wahrscheinlicher ist es, dass du ebenfalls an Tinnitus erkrankst oder andere psychosomatische Krankheiten bekommst, die von diesem Thema herrühren. Denn mit der Zeit saugen sich deine Zellen mit dieser Information voll und erkranken dann auf Sicht- und spürbarer weise.


Deswegen ist es an der Zeit, den Schlüssel hervor zu holen, ihn in das Schloss stecken, die Käfig Tür zu öffnen und in die Freiheit zu treten!

Aber pass auf dich auf, dass du diese Schritte nicht auch mit der Perfektion gehst, sonst schreitest du aus dem Käfig mit gefesselten Händen hinaus und bist eigentlich immer noch gefangen...


Gehe aus der Perfektionsfalle mit Akzeptanz und Liebe heraus - nicht mit Perfektion, sonst fesselst du dich erneut


So trittst du in die Freiheit

Da also Perfektionismus angeboren ist, können wir diese "Eigenschaft" nicht einfach ausradieren. Wir können sie aber umwandeln, es für etwas positives nutzen. Denn auch wenn das Streben nach Perfektion nicht leicht zu händeln ist, hat es ein unglaublich wertvolles Potential, was es für dich bereit hält!


Zu aller erst darfst du deinen Perfektionismus in Liebe annehmen. All deine Akzeptanz darauf legen, ihm liebend und schützend umarmen... Denn dahinter versteckt sich dein inneres, kleines, ungeliebtes Kind. Mach dafür deine Augen zu und stell dir diesen Prozess Gedanklich vor. Versuche die Gefühle hervor zu rufen, die du dir immer verwehrt hast: Wertschätzung, Dankbarkeit, Akzeptanz, Liebe... Wenn das zu schwer ist, dann stelle dir nur das Bild vor, wie du dieses kleine Kind in dir umarmst. Fühle in dich hinein, was du dabei fühlst. Lass es raus, wenn es raus möchte. Sage dir im Kopf (oder schreibe es dir auf) folgendes:


Ich akzeptiere meinen Perfektionismus. Ich möchte weder dagegen ankämpfen, noch mich davon leiten lassen.

Meine Vergangenheit ist machtlos über meine Gegenwart.

Ich liebe und akzeptiere mich so wie ich bin. Ich liebe meine Fehler, meine Makel und meine Unvollkommenheit - denn das ist es, was mich interessant und liebenswert macht.

Ich nehme mein inneres Kind behütend an die Hand, um ihm meine Kraft und Liebe zu geben.

Ich bin dankbar für meinen Perfektionismus und die Erfahrungen, die ich bisher damit gemacht habe. Heute entscheide ich mich dazu, ihn auf meine Art, bewusst für mich zu nutzen.


Es geht hier also sehr viel um dein verletztes, inneres Kind und die Liebe und Akzeptanz, die du dir verwehrst. Wenn du also anfängst, dich mit mehr wärme zu durchströmen, fällt es dir auch leichter in gewissen Situationen zu sagen: "Ach egal, ich lass das jetzt so", ohne dass deine Perfektions-Alarmglocken anspringen und du dich beschimpfst, weil es nicht gut genug geworden ist. Und selbst wenn du in die Falle deines Perfektionismus hinein tappst, dann entspann dich. Sei nicht wütend auf dich, denn dann würde wieder die Perfektion aus dir sprechen.


DER SCHLÜSSEL IST ALSO AKZEPTANZ, DAS SCHLOSS DIE (SELBST)LIEBE UND DAS ÖFFNEN DEINER KÄFIGTÜR, DAS BWUSSTE LENKEN DEINER GEDANKEN

Am Anfang ist es schwer, es widerstrebt dir bestimmt Akzeptanz dafür aufzubringen, wenn es dir bisher so viel Leid gebracht hat. Deswegen ist es wichtig auch die lichte Seite davon zu erkennen. Denn eine gesunde Perfektion kann für dich ein wertvolles Instrument deines Erfolgs werden. Du bist von Haus aus ein gewissenhafter Mensch, der einen extrem hohen Qualitätsanspruch hat. Du entwickelst dich stetig weiter, liest bestimmt viel und eignest dir allgemein sehr viel Wissen an. Wenn du etwas erledigen sollst, dann wird es immer gut - du kannst dich also immer auf dich und deine Leistung verlassen, so wie es auch andere können. Im Endeffekt hat das nur positive Seiten, die dir gerne dienen wollen. Du darfst nur lernen bewusst damit umzugehen - und das geht nur, mit einer entspannten Sichtweise (und den oben genannten Punkten - Akzeptanz usw...).



Wenn der erste Schritt schwer fällt

Gerade als Perfektionist leidet man oft unter der Vermeidung - denn wenn man nichts tut, dann kann man auch keine Fehler machen. Das ist aber kontraproduktiv, denn so breitet sich das Ganze natürlich noch weiter negativ aus und hält dich fester und fester im eisernen Perfektionismus-Griff fest. Am einfachsten geht es, wenn du mit etwas Kleinem anfängst, es erledigst, einmal überprüfst und dann weglegst. In dem Moment können in dir innerlich die Glocken schrillen wie verrückt - du hast zwei Möglichkeiten, wie du gegen dem Gedankenrasen ankommst:

Zuerst entfernst du dich von deinem "unvollkommenen" Werk.

Dann suchst du dir entweder den inneren, bewussten Dialog mit deinen Gedanken oder lenkst dich mit etwas anderem ab, bis alles abgeklungen ist (das ist aber nicht die Lösung, nur eine Vereinfachung, um am Anfang mit den ersten Schritten klar zu kommen).


Setze dir Vertrauen entgegen. Vertraue dir, dass du es schaffst auch ohne 10-Maliger Überprüfung ein Werk zu vollbringen, das sowieso jeden Anderen vom Hocker haut.

Mache dich mit dem Gedanken vertraut, dass du Fehler machen wirst. Du wirst auch mal "versagen" und wenn wir dieses Wort genauer betrachten, so hat es nur die Wirkung, die wir ihm zusprechen. Denn damals verwendete man es dafür etwas zu ver-sagen. Also zum Beispiel: "Ich versage den Dienst", = "Ich trete den Dienst nicht an", erst als die Technik kam, nannte man Ausfälle "Versagen" und somit auch Misserfolge des Menschen als "Versagen". Es ist ganz normal Ziele nicht zu erreichen, einen Umweg gehen zu müssen oder Fehler in Form von extrem wertvollen Erfahrungen zu machen. Wie langweilig wäre denn das Leben, wenn wir keine Erfahrungen mehr machen dürfen? Erst wir bewerten es und stufen es als negativ ein - auch hier können wir bewusst mitwirken und Fehler allgemein mit Abstand betrachten und die wertvollen Informationen als etwas Lehrreiches für uns herausziehen.


Gerade am Anfang fällt es schwer, sich selbst die Wertschätzung und Anerkennung zu geben, die man verdient hat. Tausche dich da am besten mit Freunden aus, höre dir bewusst an, wie toll sie dich finden und sauge es auf, wie ein Schwamm. Schreibe es dir auf oder visualisiere es für dich so, dass du dir damit jeden Tag ein klein wenig näher kommst. Erst wenn du es schaffst, dir die Anerkennung zu geben, kannst du sie auch von Anderen annehmen. Dennoch brauchst du vorher die Ideen von Außen, damit du weißt wonach du in dir suchen kannst


Meine Schritte aus dem Perfektionskäfig

Schon in der Schule bemerkte ich, dass mir die Perfektion eher Beine stellte, als dass es gut für mich war. Wenn ich in einer Klausur fertig war, überprüfte ich alles noch einmal (das wurde uns ja so beigebracht) und durch meinen Perfektionismus fand ich natürlich überall Fehler. Nur waren es keine - im Gegenteil. Als ich mich dann bewusst dagegen entschied das Blatt noch einmal anzusehen, verbesserte ich mich teilweise um eine ganze Note.


Im Arbeitsleben wurde es dennoch extremer mit meinem Perfektionismus. Mir war es wichtig eine gute Leistung zu vollbringen und so ging es direkt abwärts. Der Entschluss, dass ich Fehler nicht mehr als Weltuntergang sehe und auch Scham und Schuldgefühle nicht mehr so nah an mich heran lasse, hilft mir sehr. Auch heute gibt es immer wieder Situationen, in denen der Perfektionist in mir durchdreht. Ja gut, dann habe ich eben solche Tage, aber ich lasse den vernichtenden Gedanken nicht mehr zu, der mir einreden möchte, dass ich wertlos bin, wenn ich das nicht "perfekt" mache. Ich sehe es heute entspannt, kann auch sagen: "Egal, ich lass es jetzt so" und ohne weiteren Gedanken etwas anderes machen.


Ich bin froh über mein Streben nach Perfektion, sonst hätte ich nicht so tolle Dinge gelernt und hätte mich auch im gestalterischen Bereich, sowie im technischen nie so weit entwickeln können. Diese Hartnäckigkeit an etwas dran zu bleiben, bis es für mich fertig ist, ist eine wundervolle Gabe. Nicht aufzugeben und es - wenn es sein muss - 10 Stunden durch zu ziehen oder bis in den frühen morgen an etwas dran zu sitzen. Die Waage ist es, die ausschlaggebend ist, ob es ins ungesunde kippt. Ein Ende muss immer in Sicht sein: Wenn du also vor deinem Werk sitzt und es noch einmal kritisch betrachtest, dann komme deinem negativen Perfektionismus-Gedanken zuvor und sag einfach: "Egal, ich lass es jetzt so!".


Und dann lobe dich kräftig! Wertschätzung und Anerkennung ist so wichtig und die holst du nicht nur von Außen, sondern vor allem von dir selbst! Nur wenn du es dir geben kannst, kannst du es auch von Anderen annehmen, weil du dann auch ehrlich offen dafür bist (sonst glaubst du ja den anderen nicht, wenn du es dir selbst noch nicht glauben kannst).


Gerade Pferde leiden sehr unter unserem Drang nach Perfektion. Sie haben das Gefühl, es ihren Menschen niemals recht machen zu können. Selbst bei liebevoller "Führung" können Pferde mit so einer Energie traurig oder sogar widersetzlich werden. Mache lieber eine Pause, wenn du merkst, dass das der Fall ist und befasse dich zuerst nur mit dir selbst

Perfektionismus im Umgang mit Pferden

So streng wie du mit dir selbst umgehst, so gehst du natürlich auch mit deinem Pferd um. Ich denke, dass du bestimmt bei Widersetzlichkeit oder anderen Verhaltensweisen, die nicht nach deinem Willen gehen, gestresst reagierst, da dein Pferd dir nicht folgt und das deinem Versagen nahe kommt. Die Regeln sind eng gesteckt und das Pferd hat einen gewissen Rahmen, in dem es sich bewegen darf. Wenn es da heraus bricht, dann könnte es sogar sein, dass du dich persönlich angegriffen fühlst. Im Training werden bestimmte Lektionen mehrmals bis ins kleinste Detail geübt, da keins davon gut genug war. Du möchtest Anderen etwas beweisen, dass ihr etwas hin bekommt, was andere nicht schaffen...


Egal wie die Perfektionismus-Falle mit deinem Pferd zusammen aussieht, es ist kein glückliches Zusammensein, das ihr da führt. Ich denke, du hast bestimmt auch ein Pferd, dass sich entweder gegen all deinen Regeln widersetzt, oder eines das traurig, gar depressiv ist. Um da heraus zu gehen, ist es wichtig, dass du erst einmal bei dir ansetzt und deinem Pferd eine Pause gönnst.


Danach kannst du schauen, wie du die Rahmen und Regeln lockerst, so dass du dich noch wohl fühlst. Reflektiere, was es mit dir macht, wenn dein Pferd Dinge tut, die du vorher bestraft hast. Wie kommst du mit einer geringeren Leistung aus? Kannst du auch loben, wenn es nicht so gut war? Und aufhören, auch wenn das Letzte nicht so gut war? Mit deinem Pferd kannst du noch einmal alles bewusst ansehen, reflektieren und beobachten, ob du deine "Hausaufgaben" gut gemacht hast. Dein Pferd zeigt dir das auf eine, teilweise echt lustige Art und Weise. Und da sind wir gleich beim Punkt: Herzhaftes Lachen - über dich, über dein Pferd, über alles "Unvollkommene" - nimmt die Schwere heraus.


Gerade mit unseren Pferden wollen wir bloß keine Fehler machen - bloß nichts falsch machen. Aber auch hier entsteht nur Beziehung, wenn Erfahrungen durch Fehler gemacht werden. Versuch und Irrtum. Trial and Error... Perfekt können wir niemals werden, wir können nur danach streben - mit Humor und Gelassenheit :-)



Schlusswort

Wer meine Einträge schon kennt, weiß, dass auch hier bei diesem Thema immer nur ein minimaler Teil angesprochen werden kann. Die vielzähligen Facetten kann ich gar nicht durchwegs beleuchten. Aber wir können uns gerne hier in den Kommentaren weiter austauschen, welche Erfahrungen du damit gemacht hast, ob du noch im Käfig sitzt oder bereits frei bist und wie du das geschafft hast.





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