Schreckhaftigkeit, Stehen bleiben, Überholen, Drängeln, Losreißen,... die Liste der Verhaltensweisen, die Pferde im Gelände zeigen, ist lang. Daher gibt es einige vermeintlich schnelle "Tipps und Tricks", wie das Spazieren gehen mit Pferden entspannt werden kann. In diesem Blog-Eintrag möchte ich dir jedoch nicht zeigen, wie du dein Pferd dort hin "trainieren" kannst, damit es dann im Gelände brav ist. Ich möchte dir zeigen, warum dein Pferd dieses Verhalten zeigen könnte und dir ein größeres Verständnis der nativen Pferdesprache mitgeben.
Warum Spazieren gehen?
Um eine Beziehung zu deinem Pferd aufzubauen, ist Kommunikation immens wichtig. Leider wird das im herkömmlichen Umgang weniger beachtet. Statt sich selbst mit der nativen Pferdesprache zu beschäftigen, wird eine "gemeinsame Sprache" entwickelt - die Pferd und Mensch auch noch gemeinsam lernen müssen. Außerdem werden veraltete Thesen über Pferde mit eingeflochten, die das Pferd entweder im Wesen klein halten oder die so abstrakt sind, dass das Pferd diese nicht versteht und einfach nur noch reagiert. Das ist nicht mein Weg. Eine Beziehung baut sich organisch, natürlich auf - durch ehrliche, echte Kommunikation. Das Spazieren gehen im Gelände besiegelt das geknüpfte Band mehr und mehr - je nachdem wie wir uns anstellen.
Wenn wir mit unseren Pferden raus gehen, dann bilden wir einen Zweier-Trupp und wir müssen darin Aufgaben übernehmen, die das Pferd (noch) überfordern. Zu den Aufgaben gehören unter anderem: Entscheidungen treffen, das Gelände absichern, präsent sein und dem Pferd schnelle Rückmeldungen geben. Denn Pferde sind gerade draußen hoch kommunikativ. Je nachdem, wie sehr sie sich bereits in die Beziehung einbringen und mitteilen dürfen, fällt diese Kommunikation stärker oder schwächer aus. Um in den einfühlsamen Dialog zu treten, müssen wir wissen, was unser Pferd sagt bzw. fragt und wie wir friedvoll und schnell darauf antworten können.
Als Beispiel: Ihr geht über eine Wiese und dein Pferd senkt langsam den Kopf, bleibt stehen und fängt an zu grasen. Klar, könnten wir hier nun das Pferd trainieren und konditionieren, dass es schlichtweg nicht mehr zu grasen anfängt, wenn wir über die Wiese gehen. Meistens wird grasen so begründet, dass das Pferd keinen Respekt vor seinem Menschen hätte oder einfach unerzogen ist... Doch wir wollen ja einen ehrlichen Dialog mit unserem Pferd und in diesem sieht die Situation aus Sicht des Pferdes ganz anders aus. Das Pferd geht über die Wiese und denkt sich - das sieht saftig aus - ich möchte hier grasen. Dabei senkt es langsam den Kopf. Diese Geste ist die Frage, ob es hier grasen darf. Wenn wir nicht direkt darauf reagieren, ist das für das Pferd die Antwort, dass grasen in diesem Moment erlaubt ist. Der Fehler liegt also bei uns - weil wir nicht zugehört haben, unachtsam und zu langsam waren. Wenn wir ein Wiesenstück sehen, können wir auch präventiv handeln und direkt unseren Arm mit dem Seil erhöhen. Wenn das Pferd dann den Kopf senken möchte, reicht das bereits als Antwort aus, indem das Pferd mit dem Kopf nicht tiefer kommt. Wenn wir zu langsam sind und das Pferd schon fast mit dem Kopf im Gras ist, hat es keinen Sinn mehr auf Zug zu gehen - denn dann wird es nur noch ein Kräftemessen und das Pferd denkt sich "wenn du nicht zuhörst, dann hör ich auch nicht zu - ich habe schon so lange vorher angefragt".
Umso kompetenter wir für das Pferd im Gelände sind, umso vertrauenswürdiger werden wir. Und wenn wir auch noch Lücken füllen können, die das Pferd von uns braucht, um sich richtig sicher und bestärkt zu fühlen, ist das der heilige Grahl. Denn die Verhaltensweisen, die dein Pferd teilweise zeigt, kommen nicht davon, dass es keinen Respekt vor dir hätte, an die Macht kommen möchte oder dich ärgern will. Es sind Antworten bzw. Reaktionen auf dich - deinen Umgang und deine Energie. Achtet dein Pferd nicht auf dich, hört es dir nicht zu und zieht einfach irgendwo hin, dann kommt das daher, dass du deinem Pferd entweder ebenfalls nie zuhörst und dann sehr stark ins Körperliche gehst (stark am Seil ziehst, das Seil sehr kurz hast, viel kontrollierst) oder, weil du selbst kaum Acht auf dich gibst, dir nicht wirklich zuhörst und dich selbst vielleicht sogar übergehst. Es gibt zig Ursachen für bestimmte Verhaltensweisen - die jetzt alle hier aufzuzählen, würde den Rahmen absolut sprengen. Doch was ich dir noch mitgeben möchte: umso mehr du mit dem Gedanken raus gehst, dass ihr ein Team seid und dein Pferd weder die Führung beanspruchen möchte, noch in irgendeiner Art gegen dich ist, desto friedvoller kann euer Miteinander werden. Und dann wirst du die Botschaften deines Pferdes zu schätzen lernen...
Zusammengefasst ist das Spazieren gehen mit deinem Pferd eine wunderbare Möglichkeit, die Beziehung zu vertiefen, sich persönlich weiter zu entwickeln, die Kommunikation zu verfeinern (körpersprachlich und energetisch) und das Pferd mit der Zeit psychisch und physisch zu fördern.
Überfordert euch nicht: Warum Viel nicht viel hilft
Gehe niemals mit dem Gedanken raus "ich muss mein Pferd bewegen". Solltest du wirklich "müssen", weil dein Pferd nur begrenzte Möglichkeiten der Bewegung hat (weil es alleine steht, die meiste Zeit in der Box ist oder nur wenig Platz am Paddock hat), dann solltest du zuallererst die Haltungsform überdenken und verbessern - denn sonst wird es immer irgendwelche Missverständnisse zwischen euch geben, da es den Frust los werden möchte.
Passt bei euch die Haltungsform, dann entspanne dich - denn dein Pferd bewegt sich von alleine, wenn es den Drang dazu hat. Wenn du dich dann also dem Thema "Gelände" widmen möchtest, beginne mit kleinen Schritten. Es macht absolut keinen Sinn direkt 30 Minuten raus zu gehen, wenn du noch nicht so gut mit der lebendigen Kommunikation umgehen kannst. Damit verschlechterst du nur eure Beziehung, dein Pferd bemerkt, dass du die Pferdesprache nicht beherrschst, du outest dich, weil du dann wieder grober wirst, usw... Du wirst überrascht sein, aber tatsächlich reichen für das Pferd lediglich ein paar Meter - ein paar Meter, in denen du maximal friedvoll, achtsam, präsent und souverän bist - dass du damit eine ordentliche Portion Beziehungsboost erhältst.
Es beginnt also schlichtweg beim Holen des Pferdes und Führen zu einem bestimmten Ort. Bereits auf dieser Strecke kannst du so viel bewirken.
In diesem Video erfährst du, wie wichtig die Zeit bereits vor dem Gelände mit deinem Pferd ist und wie du eine vertrauensvolle Basis aufbauen kannst:
Bitte nehmt euch die Zeit, die ihr braucht und überstürzt es nicht. Wenn du das Gefühl hast, dass du spezielle Hilfsmittel brauchst (wie z. B. Gebiss, Hengstkette, etc.), dann ist es definitiv noch nicht soweit. Es gibt so viele Möglichkeiten ein Fundament zum Pferd aufzubauen, ohne die Koppel dafür verlassen zu müssen (wie du im Video erfahren hast). Ich denke, du verreist auch nicht mit einer komplett fremden Person, bzw. mit einer Person, die dir immer wieder bewiesen hat, dass es echt stressig ist und du nichts mitbestimmen darfst.
Die Sache mit den Trainings-Methoden & Korrekturmaßnahmen
Vielleicht kennst du mich bereits, vielleicht ist das der erste Kontakt, den du zu mir hast. Deswegen möchte ich dir hier (noch einmal) erklären, was mir im Umgang mit Pferden wichtig ist.
Für mich ist eine flexible Kommunikation das A und O - daher verzichte ich weitestgehend auf systematisches / gezieltes Konditionieren - egal ob mit Leckerli oder mit Druck. Vielmehr geht es für mich um einen natürlichen Umgang, der von jedem Pferd sofort verstanden wird, mit Berücksichtigung auf die native Pferdesprache und Psychologie, was sowohl dich persönlich als auch das Wesen deines Pferdes unterstützt. Dementsprechend muss auch auf jede Beziehungsdynamik anders eingegangen werden. Jedes Paar braucht etwas anderes. Eine Trainingsmethode ist ein festgelegter Weg, der eine flexible Kommunikation verhindert und meist mehr Missverständnisse auslöst, als beseitigt. Warum? Nun, das möchte ich dir hier nun mit einem Beispiel veranschaulichen:
Wenn das Pferd seinen Menschen überholt
Im klassischen Sinne würde man sagen, das Pferd hat keinen Respekt, ist ungehorsam, weil es nicht an der vorgegebenen Stelle bleibt, will dem Menschen die Führung streitig machen, ist unerzogen, etc... - die Maßnahmen wären hier z. B. am Seil schütteln, sodass es für das Pferd unangenehm wird oder direkt anhalten und rückwärtsrichten.
Wenn wir auf das betroffene Pferd blicken, gibt es einige Gründe, weshalb es den Menschen überholt. Ein Grund kann pure Langeweile sein, wenn es in der Halle oder am Platz herum geführt wird. Für Pferde ergibt es überhaupt keinen Sinn, ohne Grund und Ziel herumzugehen - also orientieren sie sich im Außen, lenken sich von dieser langweiligen, unterfordernden Situation ab und werden vielleicht einen Ticken schneller als der Mensch. Die Korrekturmaßnahmen stumpfen das Pferd eher noch mehr ab und es sieht immer weniger Gründe, dem Menschen wirklich gerne zuzuhören.
Generell würde ich zum "Üben" immer einen Menschen nehmen und wenn es dann mit dem Pferd soweit ist, dann unbedingt eine kurze Strecke mit Ziel wählen. Schon allein, dass du diese Absicht in dir hast, gibt dem Pferd einen Sinn in dieser Unternehmung und es folgt dir gerne.
Ein weiterer Grund kann Überforderung sein. Es vertraut seinem Menschen nicht, weil er für das Pferd fragwürdige Führungsqualitäten aufweist und es lieber so schnell wie möglich zurück zur Herde möchte. Die Korrekturmaßnahmen bestätigen dem Pferd die eigene Entscheidung von dem Menschen weg zu wollen lediglich noch mehr.
Wenn so wenig Vertrauen da ist, solltest du dich zuerst auf das Sein auf der Koppel mit deinem Pferd besinnen. An den Lieblingsstellen kraulen - deinem Pferd einfach ohne Bedingungen etwas Gutes tun. Und dann mit Mikroschritten beweisen, dass du doch auch friedvoll führen kannst.
Noch ein Grund (von sehr vielen Gründen), kann schlichtweg die pure Freude am Führen sein. Wenn sonst alles ganz gut läuft, es gerne mit dir mitgeht und ihr so eine gute, achtsame Beziehung habt und dein Pferd dich überholt, ohne vor dir davon zu laufen, will es einfach nur lernen anzuführen. Hier jetzt eine Korrekturmaßnahme einzubauen, ist wie einem Kind eine Ohrfeige zu verpassen, wenn es stolz sein selbst gemaltes Bild zeigt.
Anstatt zu korrigieren, lobe dein Pferd, wie gut es anführen kann. Wenn du merkst, dass es irgendwann doch unsicher wird, kannst du etwas schneller werden, während du dein Pferd etwas langsamer werden lässt. Die meisten Pferde lassen sich jedoch von selbst wieder zurückfallen, wenn sie unsicher werden.
Das Pferd kann auch überholen, weil es von dir eine Information in deinem Energiefeld wahrnimmt. Somit kommt es dann zum Spiegelungsprozess. Themen könnten sein, dass du immer am Machen bist und kaum zur Ruhe kommst und innerlich so geladen bist, dass das Pferd schlichtweg schneller gehen muss. Oder du bist zu ruhig, zu bequem, dass es das Pferd so nervös macht, alles selber "wuppen" zu müssen. Würde hier eine Korrekturmaßnahme eingesetzt werden, würde das Pferd lediglich lernen, dass es seinem eigenen Gefühl nicht mehr vertrauen darf, dass der Mensch energetisch nicht fein genug ist und er immer wieder diese Maßnahme ergreifen muss, wenn der Mensch nicht erst bei sich selbst beginnt.
Der einfühlsame, native Dialog
Pferde sind so harmonie- und verbindungsfreudig. Es braucht wirklich nicht viel, wenn du erst einmal verstanden hast, wie speziell dein Pferd im Gelände tickt und wie du das Beste aus euren gemeinsamen Abenteuern herausholen kannst. Einfach nur mit der nativen Pferdesprache, deinem Energie- und Körperbewusstsein und dem Willen und Mut zur Selbstreflexion.
Vielen Dank für den Beitrag! Hat mir einige Aha-Momente beschert!